Ulf Kämpfer

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Ein Jahr Leben mit Corona

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Vor einem Jahr kam Corona nach Schleswig-Holstein, und am 10. März hatten wir den ersten Fall in Kiel.

Ein Jahr lang ist unser Leben nun schon auf den Kopf gestellt. Für manche sind die Auswirkungen der Pandemie (nur) lästig und unangenehm, für viele andere hingegen existenziell: weil Gesundheit oder Leben bedroht sind, weil Einsamkeit und Isolation den Alltag prägen, weil Bildungs- und Lebenschancen Schaden zu nehmen drohen, weil der Arbeitsplatz oder die wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel stehen.

80 Menschen sind bis heute in Kiel an oder mit dem Virus gestorben; die Arbeitslosigkeit ist stark angestiegen, Geschäfte und Unternehmen haben aufgegeben oder stehen kurz davor. Was die Isolation in Alten- und Pflegeeinrichtungen, der Verzicht auf private Kontakte, Geselligkeit, Sport und Kultur, besonders aber die Einschränkungen des Schulunterrichts kurz- und langfristig für Schaden anrichten, können wir heute noch nicht ermessen.

Nach einem Jahr sind viele pandemiemüde, ich gehöre dazu. Ich habe das Virus und all seine Auswirkungen satt, sowas von satt! Ich möchte den Frühling genießen, Freund*innen zum Essen einladen, Geburtstage und die Kieler Woche feiern. Das Dumme ist bloß: Wir sind noch nicht fertig mit dem Virus, und die Sehnsucht nach mehr Normalität darf unseren Blick auf die Realität nicht trüben.

Aber wie sieht die Realität denn aktuell aus? Was müssen wir tun? Worauf können wir hoffen?

Die Lage ist unübersichtlich und zwiespältig:

Inzidenz

Mehrere Wochen lang lagen wir in Kiel stabil bei einer Inzidenz von unter 35, ein Wert, wäre er überall erreicht, beherzte Lockerungen ermöglichen würde. Doch in Schleswig-Holstein pendelt die Inzidenz schon einige Zeit um die 50 – und nun auch in Kiel wieder (Stand heute: 49), nachdem in den letzten Tagen die Infektionen wieder deutlich zugenommen haben.

Das Virus ist unberechenbar, und es wäre fahrlässig, sich in Sicherheit zu wiegen oder in Zweckoptimismus zu flüchten. Die Kurven können in wenigen Tagen steil nach unten oder oben gehen, und deutschlandweit ist die Inzidenz wieder auf 66 gestiegen.

Schwere Krankheitsverläufe und Sterbefälle

Die Inzidenzen sind seit vielen Monaten die zentrale Kennziffer in der öffentlichen Wahrnehmung und auch in der wissenschaftlichen Debatte, weil bis vor kurzem höhere Inzidenzen mit einigen Tagen Abstand immer zu mehr schweren Krankheitsverläufen und Sterbefällen führten. Doch dieser Zusammenhang löst sich möglicherweise gerade auf: Seit dem Höhepunkt Anfang Januar gehen die Zahl der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen und die Sterbefälle deutschlandweit steil und kontinuierlich nach unten, sie haben sich mehr als halbiert. Die in der zweiten Welle zunächst deutschlandweit feststellbare Übersterblichkeit (erhöhte allgemeine Sterberate im Vergleich zu den Vorjahren) ist wieder verschwunden.

Dieser Trend lässt sich auch in Kiel ablesen: Im Dezember und Januar starb durchschnittlich fast jeden Tag ein Patient an den Folgen einer Infektion, dann verringerten sich die Sterbefälle spürbar, und immerhin seit dem 16. Februar gab es (Stand 27.2.) keine weiteren Sterbefälle. Das ist eine ganz wichtige positive Entwicklung, die noch viel zu wenig Beachtung findet.

Woran liegt das? Zwei mutmaßliche Gründe lassen sich erkennen: Erstens werden in Pflege- und Altenheimen seit einiger Zeit viel konsequenter Mitarbeitende, Bewohner- und Besucher*innen auf Infektionen getestet, zweitens sind mittlerweile viele Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich und viele Bewohner*innen und ältere Kieler*innen geimpft worden – mehr als 12.000 Impfungen bisher, und das Impftempo soll im März und April deutlich ansteigen. Sicher es gibt Unsicherheiten: Wirken die Impfstoffe auch gegen die Virus-Mutationen? Kommt die Impfstoffproduktion in Gang? Steigt oder fällt das Vertrauen in die Impfungen und damit auch die Impfbereitschaft?

Trotz dieser Unwägbarkeiten spricht alles dafür, dass die Kombination aus mehr Testen und Impfen (und das individuelle Beachten der Hygieneregeln) der „Gamechanger“ bei der Bewältigung der Pandemie sind.

Lockern – wann und wie?

Das zeigt: Es gibt, passend zum Frühlingsanfang, begründete Hoffnung, in den nächsten Wochen und Monaten „vor die Lage“ zu kommen, also auf mehr Konstanz und Verlässlichkeit in der Pandemiebekämpfung. Darauf sind besonders die Schulen und die Wirtschaft angewiesen. Durch den fehlenden Präsenzunterricht sind gerade bei Schüler*innen aus ohnehin benachteiligten Familien Bildungsdefizite aufgelaufen, die uns noch lange nach dem Ende der Pandemie beschäftigten werden. Und aus unzähligen Gesprächen der letzten Wochen weiß ich, wie schlecht und oft verzweifelt die Lage für viele Unternehmen, Einzelhändler und Gastronomien ist.

Verantwortlich dafür ist eine Mischung aus zäh fließenden Unterstützungsgeldern, aufgebrauchten finanziellen Reserven, unklaren Öffnungsperspektiven und dem Frust über eine zunehmend als widersprüchlich und intransparent wahrgenommene Politik. Neben der gesundheitlichen Krise haben wir es längst auch mit einer tiefgreifenden Bildungs- und Wirtschaftskrise zu tun, die sich, wenn wir nicht aufpassen, zu einer veritablen Demokratiekrise auszuwachsen droht.

Deshalb finde ich, trotz der noch immer unsicheren Infektionslage, die Öffnung der Kitas und Grundschulen vor einigen Tagen und die sehr begrenzten Öffnungen bei Handel, Dienstleistungen und Sport ab morgen richtig.

Möglicherweise können bald weitere Lockerungen folgen, nicht, weil die Wirtschaft wichtiger ist als soziale Kontakte, sondern weil die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die meisten Infektionen im privaten Bereich passieren und nicht in Geschäften oder Restaurants.

Natürlich gehen wir als Gesellschaft mit jeder Öffnung ein kalkuliertes Risiko ein, dass die Infektionszahlen wieder steigen. Wenn wir aber verhindern wollen, dass uns die Akzeptanz der monatelangen, tiefgreifenden Beschränkungen wegbricht, dass Verschuldung, Arbeitslosigkeit und Geschäftsaufgaben in ungekannte Höhen steigen, Innenstädte veröden, fehlende Bildungs- und Integrationsmöglichkeiten Lebenswege junger Menschen dauerhaft beschädigen, dann müssen wir solche – schrittweisen, eng begrenzten – Öffnungsschritte wagen, die je nach örtlicher Infektionslage in einzelnen Bundesländern und Regionen auch unterschiedlich schnell, aber auf der Basis gleicher Kriterien erfolgen können.

Wir sind nicht ohnmächtig

So tückisch und unberechenbar das Virus auch ist: Wir alle können entscheidend dazu beitragen, damit der aufgezeigte Weg aus der Pandemie gelingt:

Allen einen guten Start in die nächste Woche -in der ich an dieser Stelle berichten werde, welche konkreten Strategien und Projekte wir gegenwärtig in Kiel verfolgen, damit aus Zuversicht Schritt für Schritt Realität wird.

Passt auf euch auf!

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